Presse


Emiliano Turazzi - Quelli che vivono

erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik # 1_2021

Gerald Eckert - Absence

erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik # 6_2020/ 2021

Schwebende schweifende Resonanzen

CD "absence" mit Kompositionen von Gerald Eckert, mode records (320)

 

Paco Yáñez

Juni 2020

 

 

... Um diese schönen schwebenden und fluktuierenden Resonanzklangräume festzuhalten, ihnen die entsprechende Geltung zu verschaffen und die Wirkung zu erhöhen, setzt Gerald Eckert hier ein weiteres Mal auf seine ihm vertrauten Musiker, das hervorragende Ensemble Reflexion K, das bei mir, immer wenn ich es höre, einen herrlich angenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Es zeichnet sich nämlich durch einen hochpräzisen Klang und ein gründliches Arbeitsstudium aus, woraus sich Aufnahmen von Spitzenqualität ergeben, die zudem der Sprache des Cellisten und Dirigenten, Gerald Eckert selbst, ganz und gar entsprechen. Wie bei seinen früheren CDs für ambitus Musikproduktion (amb 96 858), mode records (288) und NEOS (10811), schenkt uns das Ensemble Reflexion K wieder einmal nach meinem Empfinden unübertreffliche Aufnahmen, welche hier, in Annäherung an Petrarca ganz großartig von den Stimmen des Auditivvokal Ensembles begleitet werden, und in absence – traces éloignées vom Ensemble L’art pour l’art. Ich kann jedenfalls nicht umhin, bei dieser Gelegenheit den Klarinettisten Joachim Striepens hervorzuheben, dessen erstklassiger Beitrag in den angestoßenen Augen der Steine und außen, von tief innen auf dem höchsten Niveau des zeitgenössischen Klarinettenspiels anzusiedeln ist, das in den letzten Jahrzehnten zu hören war.

 

Die Tonqualität der vier Aufnahmen ist, wie es bereits bei Gerald Eckerts erster CD für mode records der Fall war, exzellent: Sie wurden unter höchst sorgfältiger Verarbeitung der den Werken inhärenter Räumlichkeit, Transparenz und Klangtreue in Deutschland aufgenommen. Die Edition durch das New Yorker Label ist wie immer ausgestattet mit Photographien der Künstlerinnen und Künstler, den vollständigen Daten der Aufnahmen und einem Text der Flötistin Beatrix Wagner, einer Kennerin erster Hand der Musik Gerald Eckerts, der uns auf dieser CD drei Weltersteinspielungen präsentiert: den angestoßenen Augen der Steine, Annäherung an Petrarca und außen, von tief innen. Zudem, wie es bei den phonographischen Editionen des deutschen Komponisten und Künstlers bereits Tradition ist, zeigt das Cover eins seiner plastischen Werke: eine Photographie, die in visueller Dimension gut den Moment der Verdichtung und des Glanzes dieser außergewöhnlich schönen Resonanzen-Nachhallräume abbilden könnte, die diese wunderbare, empfehlenswerte CD durchziehen.

 

Quelle: www.mundoclasico.com


Die Musik erschafft sich nicht, zerstört sich nicht…

CD "on the edges" mit Kompositionen von Gerald Eckert, mode records (288)

 

Paco Yáñez

Dezember 2016

 

… sie verwandelt sich schlichtweg. Zu diesem Schluss kommt man letztlich unumgänglich, wenn man die großartige CD des Komponisten und bildenden Künstlers Gerald Eckert (Nürnberg, 1960) gehört hat, welche ich im Folgenden rezensieren möchte (meiner Meinung nach eine der besten Aufnahmen, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden). Denn wenn es etwas gibt, das zwischen den vielen Qualitäten dieser Musik deutlich hervorragt, dann ist es ihre Sorgfalt und raffinierte Führung der Klangenergien mitsamt ihren Abfolgen von Brechung, Entfaltung und Wiedereingliederung hin zur Verflechtung gänzlich verschiedener Wesensarten, je nach Jahr, in dem die jeweilige Komposition fertiggestellt wurde. Doch bilden diese scheinbar durchgängig und unentwegt die Grundlage, ganz wie energetische Prozesse, die die unterschiedlichen Ausdrucksformen der Texturen umgestalten, deren Formung und nachhallende Auflösung von jenen Quellen trinkt, welche die bedeutungsvollsten Sprachen der Musik im 20. Jahrhundert bilden.

 

Bei Sopra di noi … (niente) (2014), dem letzten der drei Werke, die auf dieser wunderbaren von mode records veröffentlichten CD zusammengestellt wurden, handelt es sich meiner Meinung nach um das stärkste und gehaltvollste, ja ich wage sogar zu behaupten, dass uns hier das wichtigste Werk aus Gerald Eckerts bisherigen Œuvre vorliegt: ein Stück für kleines Orchester von wahrhaftiger Kraft und Schönheit, die uns von Beginn an in ihren Bann zieht. Auf assoziativer Basis von bzw. mit Bezügen zum fünften Gesang der Hölle von Dante Alighieris Göttliche Komödie (1304-21) erhält das Stück eine spirituelle und philosophische Textgrundlage. Darüber sagte Gerald Eckert in unserem Interview, das demnächst veröffentlicht wird: „Es ist ein ganz besonderes Werk für mich. Über meine Musik hat man bei verschiedenen Gelegenheiten geschrieben, dass sie sehr ästhetisch und fein, ohne Körper sei. Bei dieser Partitur bestand für mich die größte Herausforderung darin, angefangen beim Aufbau, ein tatsächlich festes Fundament zu finden. Jedoch ist dieses Fundament nicht beständig, es löst sich kontinuierlich auf, transzendiert im Verlöschen; immer wieder sucht es sein Fundament, jedoch vergebens, und schließlich zerstreut es sich in den Höhen und es bleibt im Grunde nichts.“

 

Diese Suche mittels geheimnisvoller Einsätze löst sich fortwährend in Nachklangkomplexen auf, die letztlich das Grundmaterial von Sopra di noi… bilden. Resonanzräume, in denen die tiefen Instrumente den entscheidenden Part übernehmen und dabei dem Ganzen eine gewaltige Robustheit und ausdrucksvolle Kraft verleihen. So heben sich bei den akustischen Auflösungsprozessen die Stimmen von Kontrabassklarinette, Kontrabassfagott, Posaune, Akkordeon, Klavier und vor allem die des Schlagzeugs ab, welches das Werk ständig antreibt und von Neuem belebt, jedes Mal wenn diese sich in dem scheinbar dunklen, dichten Rauch, in echte Schattenwolken zersetzt. Wenn mir beim Hören von Sopra di noi… ein paar andere Stücke in den Sinn kommen, dann sind dies Atmosphères (1961) und Lontano (1967) von György Ligeti. Gerade mit Letzterem teilt Sopra di noi… wegen der so ekstatischen und mikropolyphonen Lenkung der strukturellen Einheiten Momente großer Nähe. Allerdings erzeugen bei Eckert nicht nur die dichten harmonischen Zusammenklänge diese farbenreichen Geflechte, sondern es schaffen auch zahlreiche durch erweiterte Techniken geschaffene Klangfelder Färbungen verschiedenster akustischer Natur, obgleich sicherlich auch Unterbrechungen zu finden sind, die durchsetzt von Stellen dichter Klangfülle sich in beiden Werken wiederfinden lassen; so beispielsweise die der tiefen Holzinstrumente mit einem Vibrato und Resonanzkörper, die einfach faszinierend sind. Es ist nicht leicht heutzutage, Werke zu finden, die mit den Hauptstücken des Ligeti der 70er Jahre mithalten können. Sopra di noi… hingegen gelingt dies mit einer technischen und künstlerischen Perfektion, die dem ungarischen Genie ebenbürtig ist.

 

Wenn Sopra di noi… ein dichtes Universum von ineinander verwobenen und in sich abgeschlossenen Resonanzräumen schafft, die von einem Kontinuum ununterbrochener Abläufe durchzogen sind, entspricht Bruchstücke… erstarrtes Lot (1998-99) einer Studie über die Kraft von zerstäubten Quellen – Ursprungsklängen –, in denen sich der Nachhall fast unmerklich zwischen den einzelnen Instrumenten verteilt, und sich mit voller Bestimmtheit und Bewusstheit eines jeden Echos in sich selbst auflöst. In diesem Fall möchte ich als Referenz den späten Luigi Nono anführen, mit Kompositionen wie A Carlo Scarpa, architetto, ai suoi infiniti possibili (1984) oder No hay caminos, hay que caminar… Andrej Tarkowskij (1987). Die Heftigkeit der Einsätze und der entstehenden Kontraste ist in Bruchstücke… sehr ausgeprägt, genauso wie die Bestimmtheit und die Zeichnung bzw. Klangtextur durch die erweiterten Techniken. Diese sind es, die sich bei Sopra di noi… in den vertikalen und horizontalen Strukturen derart überlagern, dass es schwer ist, ihren Ursprung und die technischen Verfahren beider akustischer Universen auszumachen, welche von Eckert so großartig zusammengeführt werden. Der deutsche Komponist richtet in Bruchstücke… erstarrtes Lot seine Aufmerksamkeit auf die Konzepte Erstarrung und Zerbrechlichkeit mithilfe der Prozesse von Aktion und Reaktion, von Impuls und Echo. Zudem zeigen sich in der feingliedrigen Aufteilung des Ensembles die Abstände, Farbübergänge und die Atmung der Instrumente, ebenso wie die Erstarrung der Resonanzklangräume während der Phasen der Stille.

 

Nach Egbert Hiller wird hier zum Verständnis von Bruchstücke… erstarrtes Lot eine weiterer literarischer Bezugspunkt als Metapher relevant, nämlich Stéphane Mallarmé und seine poetischen Texte über die Konstellationen der kalten Leuchtgestirne, die aus der Einsamkeit das große Ganze umarmen und wie Astralkörper an eine große Umlaufbahn und die globale Wechselwirkung gebunden sind. Dieses Zusammenwirken von mikroskopischen Elementen, die in ihren Nachklängen in die Leere flimmern und gleichzeitig ein Ganzes mit fester Struktur bilden, lässt sich auf Anton Webern zurückführen, was Gerald Eckert in die wandelbare Tradition der Musik des deutschsprachigen Kulturraums stellt. Eine weitere Inspirationsquelle, Iannis Xenakis (diesem begegnet Eckert durch Wilfried Jentzsch, einem seiner Lehrer), ist in seinem Umgang mit gewaltigen, tiefgreifend expressiven Kräften wiedererkennbar, die die Systeme mit großer Ausdruckskraft ständig ins Schwanken bringen. Trotz der klanglichen Individualität jener Kräfte wirkt weiterhin die Spur von Luigi Nono im Hintergrund und festigt so das stilistische Geflecht (Nono, mit dem Eckert durch sein Studium bei Nicolaus A. Huber in Berührung kommt, welcher wiederum selbst ein Schüler des Venezianers war).

 

Wenn auf dieser CD Sopra die noi… und Bruchstücke… erstarrtes Lot in Bezug auf die farbenreichen Verdichtungen von energetischen Prozessen und ihren Auflösungen in den Resonanzräumen Extreme zum Ausdruck bringen, schlägt An den Rändern des Maßes (2005-11) einen Mittelweg ein, auch wenn ich es im Großen und Ganzen näher an Bruchstücke… erstarrtes sehe, wodurch erneut eine Prägung durch Luigi Nono sichtbar wird. Ein weiterer Punkt, der dieses Stück in die Nähe des späten Nono rückt, findet sich im Aspekt der Klangverräumlichung der instrumentalen Sphären, die hier von zwei Ensembles erzeugt werden. Die Analyse der Relationen zwischen beiden Gruppen ist grundlegend, vor allem wie die von ihnen geschaffenen harmonischen Felder interagieren. Dies gibt Anlass dazu, in einen lebhaften, organischen Klangraum einzutauchen, in dem verschiedene Perspektiven eingenommen werden können, um das Ganze von Außen oder von Innen zu betrachten oder den waagrechten und senkrechten Linien zu folgen, die die beiden Ensembles mit ihren Strahlen ­– Klangfäden – und gegenseitigen Klangspiegelungen miteinander verbinden. Es ist unmöglich, beim Hören dieses großartigen Werkes nicht an Gerald Eckert als bildenden Künstler – Fotograph bzw. Grafiker – zu denken, an Zyklen wie Lichtgeschwärztes (1997), und vor allem an seine stilisierten und geometrischen Zeichnungen (an dieser Stelle soll auf  das Physik- und Mathematik-Studium des Komponisten hingewiesen werden). Die oben erwähnten Zeichnungen sind derart angelegt, dass sogleich musikalische Architekturen und hierdurch erneut Xenakis‘ Vorlage erkennbar wird, insbesondere der Philips-Pavillon, an dessen hyperbolische Formen einige Fotografien des Zyklus Lichtgeschwärztes in hohem Maße erinnern.

 

An den Rändern des Maßes ist ein bedeutendes Bindeglied in der Entwicklung von Gerald Eckerts Musik, von den energetischen Explosionen in Blöcken hin zur weitreichenden Entfaltung des Materials, mitsamt seinen Prozessen der Erstarrung und Auflösung. Die Zusammenführung beider Extreme macht Sopra di noi… zu einer der beeindruckendsten und hypnotischsten Kompositionen der im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entstandenen Werke; einerseits aufgrund ihres inhaltlichen, kompromisslosen Dialogs mit den Meistern der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, andererseits durch das eigene Einbringen von Elementen grafischer Natur in eine Poetik, die Gerald Eckert selbst durch sein kompositorisches Vermögen ­– eine intensive Auseinandersetzung mit den Klangenergien, ihren Entfaltungen und musikalischen Texturen –immer mehr zusammenzuführen vermag.

 

Die Umsetzungen der drei Werke werden vom fantastischen Ensemble Reflexion K übernommen, dessen Dirigent Gerald Eckert selbst ist und das bereits seine großartige CD für das Label NEOS (10811) aufgenommen hatte. Ein weiteres Mal zeigt sich mir ein Ensemble, das Ausdruckskraft und Raffinesse auf höchstem Niveau verbindet und profunde Kenntnisse der Musik des Komponisten vorweisen kann. Die technische Qualität ist überwältigend, ebenso die Fähigkeit, Texturen von nur schwer bestimmbarer Klangfarbe, mithilfe einer atemberaubenden Farbpalette, hinter der man ein komplexes Werk von Mikropolyphonien, Mehrklängen und unter Verwendung von erweiterten Spieltechniken auf höchstem Niveau erahnen mag, zu erschaffen. Schließlich sind Gerald Eckerts Partituren alles andere als leicht umzusetzen.

 

Die Aufnahmen in Kooperation mit dem Deutschlandfunk sind hervorragend, obwohl wir es hier keineswegs mit einfach aufzunehmenden Stücken zu tun haben, was aus der Feinsinnigkeit der mikrotonalen Abfolgen und der harten dynamischen Kontraste rührt, die sich hier, vor allem bei Bruchstücke… erstarrtes, aufbauen. Die Balance und die Sauberkeit der Aufnahmen führen dazu, dass man die CD in jeder Hinsicht voll und ganz genießen kann. Hervorzuheben sind auch die im Beiheft von Egbert Hiller und Jörg Meyer verfassten Texte, die umfassend und zutreffend über das künstlerische Wesen und die Besonderheit dieser Musik informieren. All dies gibt der CD, die ich, wie bereits zu Beginn der Kritik vorweggenommen, für eine der besten Aufnahmen zeitgenössischer Musik im Jahr 2016 halte, den letzten Schliff: Eine CD, die vielfältige Wege zum Kern der Musik des 20. Jahrhunderts einschlägt und das Rhizom ihres Stils in seltener und authentischer Schönheit aufblühen lässt.

 

Übersetzt aus dem Spanischen von Sebastian Wittkopf.

 

Quelle: www.mundoclasico.com

Ensemble Reflexion K 0